St. Urbanus für...

Auf dem Weg zum Pfarrei-Netzwerk

In der Pfarreientwicklung geht es zu einem großen Teil um Zahlen. Mitgliedszahlen, die Zahl der Gottesdienstbesucher:innen, der pastoralen Mitarbeiter:innen, den Trend bei den Kirchenaustritten und Kirchensteuermitteln, betriebswirtschaftliche Daten zum Gebäudeunterhalt und Personalkosten usw. Dabei orientieren sich die Kennzahlen der Pfarreientwicklung an solchen Zahlen, die seit Jahrzehnten einen Abwärtstrend beschreiben, der angesichts enormer Haushaltsdefizite in unserer Pfarrei auch endlich ist.

„Die großen Leute haben eine Vorliebe für Zahlen. Wenn ihr ihnen von einem neuen Freund erzählt, befragen sie euch nie über das Wesentliche. Sie fragen euch nie: Wie ist der Klang seiner Stimme? Welche Spiele liebt er am meisten? Sammelt er Schmetterlinge?

Sie fragen euch: Wie alt ist er? Wie viele Brüder hat er? Wie viel wiegt er? Wie viel verdient sein Vater? Dann erst glauben sie, ihn zu kennen.”

(Aus „Der Kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry)

Ebenso endlich ist auch die Reichweite der Maßnahmen im Bereich von Umstrukturierungen, um diesen Trend entgegenzuwirken: Kirchenschließungen, Umstrukturierungen, Gemeindefusionen, anders verteilte Aufgabenbereiche …Mit den aktuellen Prozessen in unserer Pfarrei ist mindestens ein Update, ich würde sogar sagen: ein neuer Abschnitt in der Pfarreientwicklung eingeleitet. Es geht in der Kirchenentwicklung nicht nur um die Anpassung der Strukturen, sondern um einen gänzlichen Perspektivwechsel.
Ich drehe deshalb die Perspektive um. Gerne auch zuerst mit Zahlen.

Jedes Jahr wird die Zahl derer, die die Kirche(n) verlassen, größer. Mittlerweile erreicht die Austrittswelle auch diejenigen „aus den eigenen Reihen“, die kaum noch an Veränderung in der Kirche glauben. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie biographisch-individuell und werden in unserem Bistum wissenschaftlich untersucht. In jedem Fall sind sie lehrreich. Die Zahl der Lebensgeschichten steigt, in denen die Frage immer wichtiger wird: Welche Relevanz hat Kirche für das persönliche Leben in dieser postmodernen Gesellschaft? In kirchlichen Schulen, Kitas, Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen ist das für viele Menschen noch immer erkennbar. Für die Entwicklung der Pfarrei bietet die Frage enorm viel Potential.
Nachdem in der ersten Phase der Pfarreientwicklung die thematischen Schwerpunkte (Familienpastoral, Neuevangelisierung, Citypastoral und Sozialpastoral) Fahrt aufgenommen haben, haben sich fünf nord-westliche Gemeinden in der Pfarrei in der ersten Jahreshälfte auf den Weg gemacht, ein Modell für ein anderes „Kirche-Sein“ zu entwickeln: von der „Gemeinschaft von Gemeinden“ zu einem pastoralen Netzwerk, das den Kontakt zu den Menschen in den Stadtteilen und Quartieren sucht.

Netzwerke sind dafür da, Menschen in unterschiedlichen Verbindungen zusammenzubringen und Vertrauen aufzubauen, dass man etwas Gutes mit- und füreinander schaffen kann. Auch im religiösen Sinn und mit dem Angebot einer Lebensdeutung, das für so viele Menschen wichtig bleibt – auch wenn sie keine Erfahrungen mit der Kirche machen oder sich bewusst gegen eine Mitgliedschaft entscheiden. Und auch für den weitaus größeren Teil von Katholikinnen und Katholiken ist die „Gemeinde“ nicht (mehr) der Ort, an dem sie ihre Glaubens- und Lebensfragen mit anderen teilen – und dennoch Kirchensteuern zahlen.

Jetzt eine andere Zahl: Nach der vergangenen Adventsausgabe von kreuz & quer haben über 1000 Menschen in vier Wochen rund 30.000 Euro für caritative Hilfen und Projekte zusammengetragen. Eins (von vielen) Dingen, die relevant für die Stadtgesellschaft sind, in der viele Menschen, insbesondere Familien mit Kindern, am Existenzminimum oder leben. Kurz zuvor waren es ebenfalls Hunderte von Menschen, die einen Beitrag dazu geleistet haben, um den Bewohner:innen nach dem Großbrand an der De-la-Chevallerie-Straße zu helfen.
In den Artikeln zu den einzelnen Schwerpunkten wird deutlich, dass es längst und noch verstärkt in der nächsten Phase der Pfarreientwicklung um diese Fragen geht. Zu behaupten, dass sie einen Aufwärtstrend bewirken, wäre vermessen, aber doch zumindest den Horizont auf die Zukunft öffnen und weiten können.

Kirche im Netzwerk zu sein bedeutet, auf Augenhöhe mit den Menschen in den 20.000 Haushalten unserer Pfarrei und ihren sozialen Netzwerken, Nachbarschaften, Freund:innen, Arbeitskolleg:innen über diese Fragen ins Gespräch zu kommen, ihre Geschichten ernstzunehmen und sich wirklich etwas von ihren Antworten anzunehmen:

  • Wie kann Kirche den Menschen nahe sein? Welche Formen von Gemeinschaft sind wichtig?
  • Für wen ist Kirche Anwältin, wo der Kitt in der Gesellschaft nicht mehr sicher ist?
  • Was können wir als Kirche in der Stadt dazu beitragen, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Weltanschauung zu unterstützen?
  • Welche Kraft- und Energieorte können wir anbieten – auch in Gottesdiensten, bei der Feier der Sakramente und Lebenswenden?
  • Wie können Begegnungen in den vielfältigen sozialen und örtlichen Kontexten, in denen Menschen leben, ermöglicht werden?
  • Wie können Christinnen und Christen in den Sozialräumen unserer Pfarrei „anstiftend“ zur Lebens- und Glaubenshilfe wirken?

Mit den gerade neu gewählten Gremien, Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand, wird es darum gehen, dieses Netzwerk in der ganzen Pfarrei auszuweiten – nach innen und außen. Mit Teams in den Quartieren, die diese Gespräche suchen und mit den Menschen, Gruppen, Organisationen und Engagierten am jeweiligen Ort nach Antworten auf diese Fragen suchen. In offenen Formen der Beteiligung, auf unterschiedlichen Kontaktwegen und in gemeinsamer Verantwortung.

Das Wort „Pfarreientwicklung“ ist in diesem Zusammenhang viel zu technisch und viel zu institutionell. Denn es geht letztlich darum, im Hier und Heute neu zu lernen, was das Evangelium zu bieten hat: Interessiert, einladend, aufsuchend, bedingungslos, innovativ, wertschätzend, fördernd und stärkend auf Menschen zuzugehen und mit ihnen „absichtslos“ die Hoffnung zu teilen, dass jede und jeder in seiner Einmaligkeit gewollt und geliebt ist. Wie kann Kirche dafür Zeichen und Stimme in Buer und Umgebung werden?

(Markus Zingel, Pastoralreferent)